Auf der Suche nach dem Glück

Vor einigen Jahren fragte ich mich, was Glück bedeutet.

Wir können sagen, wir haben Glück, und meinen damit einen unerwartet positiven Umstand, der uns Gutes beschert. Sagen wir, wir sind glücklich, bezieht sich dies vielmehr auf einen Zustand, der länger andauert als ein Moment.

Um diesen Moment von Glück soll es heute gehen.

 

Der Weisheit und Geschichte von Sprache folgend, nähere ich mich dem Thema auf etymologischer Ebene.

Die Spurensuche beginnt für mich mit dem französischen Wort für Zufall, ,la coїncidence‘. Es leitet sich sowohl von dem Verb ,incidere‘, lateinisch für ,fallen, herabfallen‘ ab als auch von dem Präfix ,co‘, das ,zusammen‘ bedeutet. Wörtlich übersetzt, bedeutet das französische Wort so viel wie etwas, das von oben herab zusammenfällt. Zieht man ,la chance‘, Französisch für ,Glück‘ hinzu, welches sich von derselben lateinischen Wurzel des Ausgangsverbs ,cadere‘ für ,fallen, zufallen‘ ableitet, erkennen wir, dass die Bedeutung in der Sprachentwicklung offensichtlich positiv konnotiert wurde, nämlich zu etwas, das für uns in günstiger Fügung zusammenfällt.

 

Im Deutschen entwickelte sich das Wort ,Chance‘ weiter zur günstigen Gelegenheit, die man ergreifen darf. Sie appelliert nun zusätzlich an den Menschen, einen günstigen Moment für sich zu erkennen und danach zu handeln. Er muss den Moment ergreifen und ihn in sein Glück verwandeln, das Glück des Moments könnte sonst ungenutzt vorüberziehen.

 

Inwieweit können wir aber tatsächlich auf eine glückliche Wendung von Ereignissen einwirken?

 

Das Oxford dictionary definiert ,luck‘ als „good things that happen to you by chance, not because of your own efforts or abilities“ – als gute Dinge, die zufällig geschehen, unabhängig von eigenem Zutun oder persönlicher Fähigkeit. Anders als bei dem Zufallen von Gutem im französischen ,la chance‘, drängt sich hier die leise Frage auf, wenn es nicht unseres eigenen Zutuns bedarf, existiert denn eine äußere Quelle von Glück?

Schlägt man das Wort ,Glück‘ im Duden nach, liest man seine Definition als „etwas, was Ergebnis des Zusammentreffens besonders günstiger Umstände ist; [ein] besonders günstiger Zufall, [eine] günstige Fügung des Schicksals“.

 

Sowohl finden wir hier den Zufall wieder, als auch neu den Begriff des Schicksals. Ein Widerspruch?

Das Wort ‚Schicksal‘ leitet sich von dem mittelhochdeutschen Verb ‚schicken‘ ab, das eine wesentlich reichere Bedeutungsvielfalt verkörperte als es der heutige Begriff noch tut. Es bedeutete unter anderem „[…] bewirken, […] gestalten, (an)ordnen, […] [und] senden“ zugleich.  Das Schicksal wird damit frei übersetzt zu etwas, das uns zugesandt wird, Wirkung in unserem Leben entfaltet und für eine neue Ordnung sorgt.

 

Schickt eine höhere Kraft Gutes, das wir als Glück empfinden dürfen? Ist es nun Schicksal oder doch Zufall? Oder ist der Zufall Ergebnis dessen, was eine höhere Kraft uns günstig gewogen sendet und gleichen sich daher beide Begriffe auf ihrer tieferen Bedeutungsebene mehr als wir es meinen?

 

Ein Synonym für das Wort ,Schicksal‘ beleuchtet eine weitere Facette von Glück. Das Los, gleichlautend bereits im Althochdeutschen existent, bedeutet so viel wie ,das Orakel, das Omen‘. In dem Begriff ,le bonheur‘, einem französischen Synonym für Glück, finden wir eine Entsprechung, die uns sehr anschaulich in die Zeit der Antike und der Orakelsprüche mitnimmt. Es setzt sich aus zwei Worten zusammen, ,bon‘ für ,gut‘ und ,-heur‘, das sich vom lateinischen ,augurium‘ ableitet. ,Augurium‘ bedeutet so viel wie ,ein Vorzeichen, das sich aus der Beobachtung und Deutung insbesondere des Vogelflugs ableitet‘. Menschen, die in der Antike aus der Beobachtung von Vogelzügen die Zukunft lasen, wurden Auguren genannt. Die Herleitung des Wortes Augur scheint weniger eindeutig, jedoch findet man in manchen Quellen darin die Wurzel ,avis‘, Lateinisch für ,Vogel‘ wieder.

Das französische ,bonheur‘ ist also wörtlich genommen ein günstiges Vorzeichen, das ein Seher aus der Bewegung von Vögeln abliest und damit eine glückliche Zukunft vorhersagt.

 

Wenn es Vorzeichen von Glück gibt, existiert Glück dann bereits in einer anderen Sphäre, bevor wir es erleben? Manifestiert es sich lediglich nur im rechten Moment, der uns als Glück zugedacht wird?

 

Wohin führt mich diese Suche?

Sie führt mich in eine Welt, in der ich die Tiefe von Sprache und Begriffsdeutung erforschen darf, und in der Fragen neue Fragen aufwerfen.

Zufall und Schicksal, zwei Begriffe, um die sich die Geister gern streiten, gleichen sich bei genauerer Betrachtung mehr als zunächst vermutet, stellen sie für mich nun vielmehr zwei Betrachtungsweisen einer Bedeutungswahrheit dar, beide im günstigen Fall Glück bringend.

Welche Bahnen auch immer die Vögel am Himmel ziehen mögen, einig wird man sich spätestens bei dem guten Gefühl, das uns widerfährt. Denn solange wir es Glück nennen dürfen, können wir seinen Ursprung im Dunkeln lassen.

 

 

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Comments

Dorothea Ruch
5 months ago

Liebe Frau Dr. Anne Weldemann,
durch Ihre lb. Mutter bin ich in der Praxis auf Ihre Website hingewiesen worden. Ich bin sehr beeindruckt von den fantastischen Aufnahmen. Ich werde auch noch Ihre Texte in Ruhe lesen. Der Text über "Glück" mit der etymologischen Herleitung in verschiedenen Sprachen hat mir Appetit auf weitere Texte gemacht. Ihnen alles Liebe!
Mit herzlichen Grüßen
Dorothea Ruch (Klavierschülerin von Raymund Koslik